Vor etwa zehn Jahren wurde zum ersten Mal öffentlich über die Machenschaften krimineller Großfamilien berichtet. Zunächst gab es viel Widerstand aus der Politik und den Medien: „Wir dürfen niemanden diskriminieren!“ Sogar heute noch hören wir Stimmen, die sagen, der Begriff ‚Familienclans‘ sei nicht akzeptabel.
Toleranz oder Naivität?
Diese mühsame Form der Toleranz, die bisherige Scheu, das Problem auch wirklich beim Namen zu nennen, hat dazu geführt, dass kriminelle Strukturen über Jahrzehnte hinweg ungestört wachsen konnten. Hinter diesen Strukturen stehen patriarchalisch organisierte Großfamilien, die allem, was außerhalb ihrer Gruppe liegt, als Beute betrachten. Ihr Ziel ist es, den Sozialstaat auszubeuten und mit Drogenschmuggel, Betrug und Erpressung Millionen zu verdienen.
Der Kampf gegen Clankriminalität ist wirklich eine Herausforderung, die die Werte des Rechtsstaates auf die Probe stellt. Denn diese Clans wagen es, unsere Gesellschaft, die auf bürgerlichen Werten, Gesetzestreue, Gleichheit und friedlicher Koexistenz basiert, offen zu verachten. Dies wird auch in der packenden ZDF-Dokumentation „Blutsbande – Clans in NRW“ von Thomas Schwendemann und Ahmad A. Omeirate anschaulich gemacht.
Türkisch-libanesische gegen syrische Clans
Die erste Folge präsentiert einen klaren und beeindruckenden Überblick über dieses komplexe Phänomen – und das gilt nicht nur für Nordrhein-Westfalen, auch Bremen, Niedersachsen und vor allem Berlin sind betroffen. Es ist erschreckend, wie frisch dieses Thema ist. Die Autoren zeigen auf, dass die Konkurrenz zwischen den traditionellen türkisch-libanesischen Clans und den jetzt größer gewordenen syrischen Clans erst seit der Flüchtlingskrise 2015 enorm zugenommen hat – im Ruhrgebiet kam es überhaupt erstmals zu erheblichen gewalttätigen Auseinandersetzungen.
Dankenswerterweise hält sich die Dokumentation nicht mit unnötigen Begrifflichkeiten auf. Aus dem Off wird völlig treffend bemerkt, dass die Polizei lange Zeit den familiären Hintergrund vieler Verbrechen ignoriert hat. Genau deshalb ist die Aufklärung oft nur entlang von – übrigens nie seitens der Polizei genannten – Familiennamen möglich, genauso wie der Kampf gegen die Mafia.
Was steckt hinter der „Strategie der 1000 Nadelstiche“?
Die Autoren befassen sich in einem Faktencheck kritisch mit der Strategie des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Reul (CDU), die sogenannten „1000 Nadelstiche“ vorbeizuhaben. In zahlreichen Einsätzen arbeiten Polizei, Zoll und Gewerbeaufsicht zusammen, um in Shishabars oder Barbershops ein Zeichen gegen die Clans zu setzen. Auf den ersten Blick scheinen die Ergebnisse gering – meist wird nur gegen kleinere Verstöße vorgegangen. Dennoch soll die intensive Kontrolle auch andere Geschäftsinhaber davon abhalten, sich in kriminelle Handlungen zu stürzen.
Es ist allerdings bitter nötig, dass die Fragen des ehemaligen Essener Polizeipräsidenten Frank Richter gehört werden: Die „Strategie der 1000 Nadelstiche“ läuft nun schon seit über sieben Jahren. „Wo sind die Initiativen des Landes?“ Was Richter über die unbekannte, aber für die Repression der Clan-Kriminalität wesentliche „Beweislastumkehr“ verdeutlicht, bleibt leider ungelernt.
Der Geldfluss ist entscheidend
Bundes- und Landesermittler sind sich einig, dass es wichtig ist, im Kampf gegen die Clans der Geldspur zu folgen. Nur wenn die Finanzierungsmodelle der Clans restlos greifen, zerfallen ihre Netzwerke. Optimal wäre ein System, wie es auch italienische Ermittler im Kampf gegen die Mafia praktizieren: Clanmitglieder sollten verpflichtet werden, nachzuweisen, woher ihre Luxusgüter stammen – ganz gleich, ob es nun um Immobilien oder teure Autos geht.
Was leidenschaftlicher diskutiert werden könnte, sind die dazugehörigen Gedanken, dass Clanangehörige lediglich die Opfer ihrer environment sind. Diese kriminellen Parallelwelten sind letztlich auch ein Beweis für gescheiterte Ausländerpolitik. Als die Großfamilien vor den Bürgerkriegswirren im Libanon in die BRD kamen und Asyl suchten, half man ihnen nur unzureichend. Sie bekamen keine langwierige Unterstützung, und die Schulpflicht fiel weg, obwohl klar war, dass eine Rückkehr nicht möglich war. Dies führte dazu, dass sie mit ihrer Rolle als vermeintliche Opfer mehr und mehr in alte Muster zurückfielen. Einige von ihnen verwandelten die durch ihre Fehlschläge erlernten Strukturen in ein kriminelles Geschäftsgebaren. Der Influencer Ahmed Sharif, einer der Hauptdarsteller dieser Doku, sagt: „Es ist die Schuld der Politik, dass diese Leute kriminell geworden sind.“ Ironischerweise war Sharif aber sogar als kleines Kind Deutscher Staatsbürger – und er selbst geriet zeitweise auf die schiefe Bahn.
Der zweite Teil der Doku hat deutliche Schwächen. Hier wird betrachtet, dass einige radikal-islamistische Internetprediger anfangen, sich auf Clans zu besinnen und umgekehrt die Clans das für ihre Aktivitäten nutzen könnten, um das Gesetz zu delegitimieren und damit ihre aktuellen Handlungen zu rechtfertigen.
Die etwas chaotische Betrachtung hinterlässt den Eindruck, der frisch verurteilte Messerattentäter von Solingen, der lebenslänglich hinter Gittern sitzt, hätte einen Clan-Schwerpunkt. Ebenso ist die Zusammenfassung des sogenannten Kölner Drogenkriegs zwar nachvollziehbar, behandelt jedoch nur am Rande aktuelle Fragen, weil Mitglieder eines Bochumer Clans einfach das Opfer einer Kölner Gang wurden.
Der Zweiteiler Blutsbande – Clans in NRWwird am Mittwoch um 20.15 Uhr auf ZDFinfo und im ZDF-Stream zu sehen sein.
