Merkels Interview löst internationale Wogen aus
Die Reaktionen auf ein Interview von Angela Merkel mit dem ungarischen Portal Partizan sind auch Tage später noch immens. Medienvertreter aus verschiedenen Ländern zeigen sich alarmiert über die Äußerungen der ehemaligen Kanzlerin.
Kritik für ‚unüberlegte und unsensible‘ Aussagen
Im Interview äußerte Merkel, dass das Friedensabkommen von 2015 für die Beendigung der Kämpfe in der Ost-Ukraine eine richtige Entscheidung war. Dennoch räumte sie ein, dass durch die Corona-Pandemie eine direkte Kommunikation mit Putin nicht mehr möglich war, was die weiteren Entwicklungen negativ beeinflusste.
Als sie erklärte, dass einige Länder, insbesondere die baltischen Staaten und Polen, nicht an einem Plan für direkte Gespräche mit Putin interessiert waren, brodelte es in den Medien. Merkel bemerkte: „Wir hätten eine einheitliche Russland-Politik entwickeln müssen, aber dies ist nicht gelungen.“ Ursache für die heutige Spannungen sei, dass sie nach ihrem Amtsende die Aggression Russlands spüren mussten.
Wut in den baltischen Ländern – ‚Verpuffte Erklärungen‘
In Litauen regierte eine Welle der Empörung. Eine Korrespondentin des LRT bemerkte, dass Merkels Formulierungen unsensibel gewählt waren und Raum für Missinterpretationen ließen. Die Jagd nach Klarstellungen blieb aus, was die ohnehin darunter leidenden deutschen Beziehungen zu den baltischen Ländern nicht besser machte.
Estlands Außenminister Margus Tsahkna kritisierte die Aussagen Merkels scharf und beschrieb sie als „unverschämt“ und „falsch“. In der Überzeugung, dass Merkel mit ihrer einseitigen Anklage versucht nahm, Verantwortung abzuwälzen, initiierte sie damit eine Debatte, die nicht so leicht verhallen wird.
Wirbel um Selbstreflexion und Versäumnisse
Eine Journalistin vom LRT nutzte die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass Merkel bis dato nie öffentlich für die Verletzungen ihrer Politik eingestanden hat, insbesondere in Bezug auf Russland. Ihr wurde das Etikett der „allwissenden Merkel“ angeheftet, das sie immer noch verstärkt, indem sie auf frühe Fehler nicht Rücksicht nahm.
Die Situation führt vielerorts zu einem generellen Unmut über Merkels einsame Entscheidungen, die nicht nur Deutschland, sondern auch die Sicherheitslage in der gesamten Region beeinflussten, indem sie laufend Warnzeichen aus Osteuropa ignorierte.
Der Unmut wächst – Länder schämen sich für Früheres
Latvijas Radio kommentierte kritisch die lange Funkstille von Merkel nach ihrem Rücktritt. Man wollte zunächst das Schweigen als Reflexion über ihre früheren Fehler verstehen. Letztlich aber fügte sich dieses Schweigen in eine Schwellung der Anklagen gegen Nachbarn wie die baltischen Staaten und Polen.
Ähnlich äußerte sich der estnische Rundfunk, wobei sie Merkels Verrat am Dialog als bornierte Auffassung bewerteten. Und: „Verhandlungen mit dem Kreml dauern nur so lange, bis diese die eigene Situation durch Druck aufbessern.“
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Angela Merkel trotz des großen Aufschreis um ihre Worte weiterhin bei ihrem Standpunkt bleibt. Sowohl beim Letten als auch bei Esten fühlen sich viele weitaus weniger als Gesprächspartner, sondern als Sündenböcke in ehrgeizigen geopolitischen Spielen.
(dpa, AFP, eigene Recherche)
