Minimalismus und seine Kommerzialität: ZDF-Doku über die Freiheit des Wesentlichen

Estimated read time 3 min read

Wohnen Sie auch in einem Tiny House? Und haben Sie Ihren SUV verkauft, weil Sie das Radfahren viel mehr genießen? Verbringen Sie die Sommerferien lieber am nahegelegenen Badesee, anstatt sich ins Flugzeug nach Mallorca zu setzen, nur um Ihren ökologischen Fußabdruck zu schonen? Wenn Sie all dies bejahten, gehören Sie vielleicht zu den „Guten“. Doch wenn Sie dazu neigen, vom guten Leben zu träumen, während Sie im Alltag dem Konsum nicht widerstehen können, dann zeigen Ihnen die neuen Einblicke aus der ZDF-Dokumentation „Weniger Haben, mehr Sein“ den harten Realitätstest dieser Tugenden.

Minimalismus neu entdeckt und monetarisiert

Corinna spricht von der Freiheit, die Minimalismus ihr bringt: „Erklärung: Ich habe endlich Raum für das Wesentliche in meinem Leben geschaffen.“ In ihrem 52 Quadratmeter großen Zuhause mit ihrem Mann arbeitet sie hart daran, Besitz als Gegner zu sehen. Die einfache Formel: weniger Besitz führt zu weniger Arbeit und schafft Raum für mehr Zeit. Um anderen dabei zu helfen, hat sie sich sogar als „Aufräumcoach“ selbstständig gemacht und nimmt 90 Euro pro Stunde. Ein gutes Geschäftsmodell, das Minimalismus auch monetarisiert.

Der Durchschnittsdeutsche besitzt um die 10.000 Dinge

„Kann man Glück kaufen?“ Diese Frage stellen sich Schüler in einer Diskussion mit ihrem Lehrer Janos. „Gegenstände können einen schon glücklich machen“, übt sich ein Schüler in naivem Optimismus. Und was ist die Hausaufgabe? Zählt einmal, was ihr zu Hause an Besitz habt! Die Überraschung ist groß. Die Deutschen haben im Schnitt 10.000 Gegenstände — vor hundert Jahren waren es gerade einmal 120. Doch bringt all dieses Hab und Gut am Ende auch mehr Happiness? Wahrscheinlich nicht.

Loslassen ist der Schlüssel zum Leben

„Das ganze Leben bewegt sich im Prozess des Loslassens“, praktiziert Aufräumcoach Corinna, unterstützt in dieser Doku. Und spätestens der Tod macht einem das mehr als bewusst. Viele letzten Endes sind vielmehr damit beschäftigt, Eigentum zu sammeln — Wohnung, Auto, Haus — um künftige Generationen abzusichern und ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen.

Kontrastierend sieht man Joachim, einen ehemaligen Energieberater, der genau das Gegenteil lebt: Er hat gelernt, sich von den meisten Dingen zu trennen. Sein gesamtes Hab und Gut passt in einen kleinen Koffer, den er überall mit sich rumzieht. „Ich lebe derzeit bei einer Freundin und bekomme weniger als 600 Euro Rente.“ Fragen aus der Klasse, ob er Geschenke macht, beantwortet er darauf: „Ich schenke Zeit — weniger tote Gegenstände lassen Platz für das Lebendige“, was den Schülern sehr beeindruckend vorkommt.

Kleiner Koffer, großes Glück

Die Kundin, die Corinna beim Entrümpeln half, strahlt: „Es fühlt sich an, als ob ich wieder richtig frei atmen kann. Es ist einfach gut.“ Corinna fasst es einfach zusammen: „Es ist wichtig, Zeit für die Dinge zu haben, die ich erledigen möchte, und nicht für die, die ich besitzen möchte.“ Wenn also das wahre Glück in einen kleinen Koffer passt, sollte man dann wirklich auf ein Tiny House statt 150 Quadratmeter setzen? Ist es an der Zeit, ferner Flüge zu streichen und sich am nahegelegenen Badesee zu erfreuen? All dies könnte das Ende unseres aktuellen Wirtschaftssystems bedeuten und auch unser ganzes Wohlstandsverständnis in Frage stellen. Vielleicht wäre es weise, solche Träume auf morgen oder übermorgen zu verschieben.

Related Posts: