Belarus in der Krise: Deutschland zieht sich zurück und Russland übernimmt

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Vor rund zwei Wochen sorgte das Informationsministerium in Minsk für einen Aufschrei, als es die Bücher des 2022 verstorbenen Illustrators Wolf Erlbruch auf den Index setzte. Sein Bilderbuch “Ente, Tod und Tulpe” ist nun in Belarus verboten, und es drohen Strafen beim Verkauf der Übersetzung des erfolgreichen Kinderbuchs “Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat”. Erlbruch steht damit nicht alleine da; auch der in der Schweiz lebende belarussische Autor Sasha Filipenko ist betroffen, dessen “Rote Kreuze” ebenfalls verboten sind. Besonders alarmierend ist, dass sogar der Ratgeber “Wie befreit man sich aus toxischen Beziehungen” von Marina Osborn unter Strafe steht. Dies zeigt die tief-seated Ängste des autoritären Regimes von Alexandr Lukaschenko gegenüber freiem Denken und Meinungsäußerung.

Vorführungen von Kriegsgerät sind Alltag auf den Straßen von Minsk.
Die Präsentation von Militärgeräten ist auf den Straßen von Minsk alltäglich geworden.

Was anfänglich kurios erscheinen mag, fällt zusammen mit der Entscheidung des Auswärtigen Amts in Berlin, die Finanzierung des Forums für historische Belarus-Forschung auszusetzen. Aktuell hält das Regime in Minsk mindestens 1197 Menschen in Gefängnissen wegen ihres Engagements für die Grundrechte, die in der Verfassung festgeschrieben sind. Viele von ihnen hatten sich lediglich online zu Themen geäußert, die auf dem Index stehen. Fünf Jahre nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen, wegen derer sie für die Freiheit auf die Straße gingen, ist Belarus in einer kritischen Lage. Schließlich war es von Belarus aus, dass Wladimir Putin 2022 in den Norden der Ukraine einfiel. 2025 fliegen Drohnen von dort aus ins EU-Gebiet. Dennoch hat Deutschland offenbar aufgegeben.

Auf dieser Seite der Front funktioniert die Zusammenarbeit: Beim russisch-belarussischen Manöver mit dem sprechenden Namen „Zapad 2025“ („Westen 2025“) präparieren belarussische Soldaten eine Drohne.
Belarussische Soldaten bereiten während des Manövers “Zapad 2025” (“Westen 2025”) Drohnen vor.

Folgen der deutschen Besatzung

Im Schreiben an die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde wird erklärt, dass die von dem Forum betriebene Diskussion über die Geschichte von Belarus aus finanziellen Gründen nicht fortgeführt werden kann. Das scheint ein Eingeständnis zu sein, dass das Auswärtige Amt die staatliche Autonomie von Belarus in Zukunft nicht mehr garantizar kann. Andernfalls würde es mit Mitteln des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) die Zusammenarbeit bei der Geschichtsforschung fördern, wie das Beispiel mit Historikern aus der Ukraine, Tschechischen Republik, der Slowakei und Polen aufzeigt.

Bereits im März 1994 wurde ein Vertrag über die kulturelle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der erst 1991 gegründeten Republik Belarus unterzeichnet. Nach der Ratifizierung durch das Minsker Abgeordnetenhaus weigerte sich jedoch der Bundestag, diesen zu ratifizieren, da ein wichtiger Paragraph zur gemeinsamen Aufarbeitung der Folgen des Zweiten Weltkriegs fehlte. Belarus gehörte zu den Sowjetrepubliken, die unter dem deutschen Vernichtungskrieg besonders litten; Historikerinnen schätzen die Zahl der Opfer auf über 1,8 Millionen. Das Bewusstsein in Deutschland für diese historische Verantwortung könnte 2025 enden, und damit wird der Beitrag, den der Holocaust und die Verfolgung der slawischen Bevölkerung zur Schwächung der Zivilgesellschaft in Belarus geleistet haben, ignoriert. Während Berlin die Verantwortung für die Ukraine übernimmt, gibt es Belarus de facto den Russen preis.

Das Forum hatte versucht, die Geschichte von Belarus in einen transnationalen Kontext zu stellen und die deutsche Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren, ohne es einseitig an die Russische Föderation zu binden. Die Gründung des Forums war eine Reaktion auf das Einfrieren der belarussisch-deutschen Geschichtskommission, die Anfang 2020 auf Initiative von Frank-Walter Steinmeier und dem Lukaschenko-Regime gegründet wurde. Minimal nach dem besseren Umgang mit historischen Namen richteten mehrere deutschsprachige Redaktionen ab Sommer 2020 ihren Ländervorschlag von Weißen Russland auf Belarus um, was eine symbolische Anerkennung der Staatsautonomie darstellt, angesichts der schleichenden Übernahme des Landes durch Russland.

Bedrohungen für belarussische Historiker

Nach dem gescheiterten Volksaufstand im Sommer 2020 konnte die Kommission ihre Arbeit nicht fortsetzen. Die belarussischen Historiker im Fachinstitut in Minsk unterstützten das Regime bei der Durchsetzung von neuen Erinnerungsgesetzen, durch die Historiker wie Andrzej Poczobut verfolgt werden. Poczobut sitzt aufgrund einer achtjährigen Haftstrafe fest, weil er einen Workshop über die Geschichte der polnischen Heimatarmee organisiert hat.

Das Forum für historische Belarus-Forschung stellte die Frage, wie belarussische Historiker in Anbetracht ihrer existenziellen Bedrohung weiterhin Zusammenarbeit erreichen können. Statt die Illusion einer Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen aufrechtzuerhalten, wurde das Forum zu einer Plattform für die kollegiale Kooperation mit flüchtenden Wissenschaftlern in Vilnius, Warschau, Breslau, Prag, Berlin und Hagen. Das Forum hat neue Formate zur öffentlichen Anbindung an historisches Wissen entwickelt, welches auch das systematische Dolmetschen aus dem Belarussischen, einer eigenständigen Sprache, umfasst, die mehr Ähnlichkeiten mit dem Ukrainischen und Polnischen hat, als mit dem Russischen.

2021 wurde der DAAD vom Minsker Bildungsministerium aus Belarus ausgeworfen, was hohe Kosten in siebenstelliger Höhe zur Folge hatte. Es ist unverständlich, dass die globalen Kürzungen, die an die Austauschorganisation weitergegeben wurden, gerade im Hinblick auf die Aktivitäten in Belarus und die Zusammenarbeit mit geflüchteten Forschern zu verschärfen, notwendigerweise gegenläufig sind. Es braucht eine wichtige Rolle des Forums für historische Belarus-Forschung für die kulturelle Zusammenarbeit im Ausland, wann immer es im Netzwerkmodus aufgegriffen werden kann, und es erfordert robustes Engagement, um die Souveränität anderer östlicher Partnerstaaten und insbesondere von Belarus zu stärken – so wie im aktuellen Kampf um die Existenz des Staates Ukraine.

Felix Ackermann lehrt Public History an der Fernuniversität in Hagen. Er war Mitglied der belarussisch-deutschen Geschichtskommission und gehört dem Beirat des Forums für historische Belarus-Forschung an.

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