„Hier stehen die Russen mit ihren Gewehren“ – An der Grenze eines fiktiven Staates

Estimated read time 5 min read

Mitten zwischen der Ukraine und Rumänien kämpft Moldau um eine klare Zukunft. Die Einstellungen der Menschen schwanken zwischen der Orientierung nach Osten und dem Westen. Eine Entdeckungsreise entlang der Grenze zu Transnistrien zeigt die verblüffenden Herausforderungen, vor denen Europa steht.

Tatjana und Michail sitzen, eine halbe Autostunde von Chișinău entfernt, im Schatten und verkaufen am Strand Badewaren. Beide sind Ende sechzig und haben sich mit ihrem kleinen Geschäft ein zusätzliches Einkommen aufgebaut. Über ihren Nachnamen wollen sie lieber nicht sprechen.

„Wir sind vor vielen Jahren hierhergezogen,“ erzählt Michail, während er süße Pflaumen auf ein Stück Brot löffelt. „Wir mögen es hier, aber unsere Familie macht sich manchmal Sorgen, weil wir an der Grenze leben.“

Kinder genießen ein Bad im Dnister, einem unscheinbaren Fluss, der für Moldau enorm wichtig ist. Am anderen Ufer…

Tatjana (65) und Michail (69) ergänzen ihre Rente mit dem Verkauf von Schwimmutensilien. Julius Fitzke

Nach einem kurzen Krieg, in dem Russland intervenierte, entstand der unerwünschte Gebilde Transnistrien. Obwohl nicht international anerkannt, hat es eigene Armee, Parlament und eine eigenwillige Verfassung. Dort wird mit einer Art von Rubel bezahlt, die in Plastikkarten und kaum mehr wertvollen Scheinen kommt.

„Auf der anderen Seite des Flusses sind unsere Leute,“ sagt Michail, während er auf die Wiesen jenseits zeigt. „Diese Grenze, dieser gesamte Staat – das ist alles nur Politik.“ Tatjana fügt hinzu, dass es flussabwärts eine Brücke nach Transnistrien gibt. „Das ist immer ein wenig unheilvoll. Die Russen stehen dort mit ihren Gewehren!“

Nach dem Krieg wurde eine Pufferzone am Flussufer eingerichtet, um Konflikte in Transnistrien zu vermeiden. An den sieben Brücken sollen Soldaten für einen gewissen Frieden sorgen.

Diese Einheiten sind Teil einer Friedenstruppe aus russischen, moldauischen und transnistrischen Soldaten, wobei etwa 1500 russische Soldaten weiterhin in Transnistrien stationiert sind.

Das Rathaus der transnistrischen Stadt Tiraspol

….

Russland probiert weiterhin alles, um Moldaus Weg in die EU zu untergraben, und Transnistrien spielt dabei eine zentrale Rolle. Der Region geht es nicht gut, sie wird durch russische Rentenzahlungen und günstige Gaslieferungen am Leben gehalten.

Die Einheimischen in Moldau hingegen sommern allerdings pragmatisch mit dem Konflikt. Der Weg über die innere Grenze zu Transnistrien ist für sie eine Routine. Mehrmals täglich fahren Minibusse von Chișinău zur Hauptstadt Tiraspol — die Fahrt dauert etwa anderthalb Stunden.

Um 17 Uhr steigt eine blonde Frau in den Bus am Çinçana-Bahnhof. „Ich pendle fast täglich für die Arbeit“, erzählt sie und zeigt auf ihren transnistrischen Pass. „Aber das ist nur ein Stück Papier. Jeder von uns hat auch einen moldauischen oder russischen Pass.“

Vor den Fenstern des Busses verschwinden die letzten Häuser von Chișinău, gespickt mit großen Plattenbauten, dann ergießen sich endlose Felder von sonnenblumen. Die Straßen werden holpriger, je näher sie der Grenze kommen. „Ich arbeite auch in Chișinău. Es gibt keine Jobs und schlechtere Löhne in Transnistrien“, berichtet die Frau.

Von den moldauischen Radiosendern strömen die Signale allmählich ab, bis der Fahrer auf das transnistrische Radio umschaltet. Russische Schlager überlagern den Sender, immer wieder Werbung für Seniorenkuren in Kaliningrad. Bald stoppt der Bus vor einemnoch éléganten, verbeulten Schlagbaum, mit vermummten Soldaten, die unter rusischen und transnistrischen Fahnen patrouillieren. Eine Untersuchung der moldauischen Staatsbeamten findet oft nicht statt – Chișinău erkennt die Grenze nicht an.

Moldau ist sehr ländlich geprägt und verhältnismäßig dünn besiedelt.
Moldau ist von ländlichem Charakter, dennoch dünn besiedelt. Julius Fitzke

Ein paar Dutzend Kilometer flussaufwärts ertönt ein Signalhorn, als ein Schiff mit einigen Autos, darunter auch einen alten Eiswagen, ablegt. Die Überfahrt auf dem hier anderthalb Kilometer breiten Fluss dauert etwa 20 Minuten. Diese Verbindung zwischen Moldau und den „gallischen Dörfern“ wird mehr geschätzt als die etwa 5 Minuten entfernte Brücke südlich — trauma, dort erinnert man sich an den Unabhängigkeitskrieg.

Am Anleger auf der anderen Seite starren die russischen Soldaten auf die Fahrzeuge, die gemächlich von der Fähre fahren, umgeben von Apfelbäumen und kleinen Häusern entlang des Schotterweges.

Die moldauische Enklave Molovata Noua in Transnistrien.Julius Fitzke

Laut Expertise von Triebel verfolgt Putin mit dieser Strategie politische Ziele: „Chişinău hatte es mit dem Entzug der russischen Gaslieferungen zu tun, während sie für das Jahr 2025 mehrere wirtschaftliche Krisen bekämpfen müssen, was die politische Stabilität gefährden könnte.” Viele machen die Gegenteil der PAS, der pro-EU-Partei, verantwortlich für die hohen Energiepreise.

Andrej, ein geliebter Freund der Bürgermeisterin Gazea, ist bei ihr vorstellig geworden. „Mein Sohn ist in Deutschland und meine Tochter in England. Das geht uns allen hier so. Wir wollen besser leben, so wie in Deutschland, daher visieren wir die EU an“.

Er deutet nach Südosten. „Dort, in Transnistrien, erkennt niemand, dass Russland gerade neben billiger Energie nichts zu bieten hat, und auch kein hochgradig entwickeltes Sozialsystem zur Verfügung stellt“, merkt er an.

Mitte Juli haben wichtige EU-Besucher Chisinau erreicht. Ursula von der Leyen grüßte vielheißend und legte der Rekordzahl von 1,9 Milliarden Euro für mehrere Reformen in Moldau fest. In demselben Atemzug fordert die Reisende Frieden, wonach die gesamte russischen Militärpräsenz in Transnistrien abgezogen werden müsse.

Aber so schnell wird das Moskau ….

Related Posts: