Smartphones und ihr Einfluss auf unser Gehirn
Marc Tadié, Neurochirurg und Direktor der Hirnforschung in Frankreich, zeigt in seinen Studien auf, welche negativen Folgen übermäßiger Smartphone-Gebrauch auf unser Gehirn hat. Er hat bereits bei vielen Menschen körperliche Schäden festgestellt.
WELT: Emmanuel Macron, der Präsident von Frankreich, hat kürzlich angekündigt, ein Verbot von Smartphones an Gymnasien einzuführen. Dabei spricht er von einer „Aufmerksamkeitskrise“, die vor allem jüngere Generationen betrifft. Halten Sie ein solches Verbot für notwendig?
Marc Tadié: Wir sind wirklich schockiert über die drastischen Verhaltensänderungen unserer Mitmenschen. In U-Bahnen sieht man niemanden mehr lesen oder einander ansehen; alle sind gefesselt von ihren Bildschirmen. Diese auffälligen Veränderungen könnten auch organische Auswirkungen auf das Gehirn haben, besonders auf das Gedächtnis. Schließlich ist genau das Gedächtnis das, was uns zu Menschen macht. Unsere Untersuchung mit Verhaltensstudien und bildgebenden Verfahren zeigt klar: Es gibt solide wissenschaftliche Beweise für die kognitiven Schäden, die Smartphones verursachen.
Rückblickend auf das potenzielle Verbot an Gymnasien ist dies ein recht einfacher Schritt. Länder, die bereits ein solches Verbot umgesetzt haben, berichten von drei wesentlichen Vorteilen: Verbesserte Aufmerksamkeit und Konzentration bei Schülern (ein ausgeschaltetes Handy in der Nähe vermindert schon die kognitiven Leistungen), weniger soziale Ungleichheiten zwischen Besitzern neuester Handymodelle und anderen, sowie weniger Stress und Cybermobbing.
Dennoch ist diese einfache Maßnahme alleine nicht genug. Sie muss von einer umfassenden Aufklärung über den richtigen Umgang mit Smartphones und Künstlicher Intelligenz begleitet werden, da Handys heutzutage ein Hauptzugangspunkt dafür sind. Andernfalls wird nur das eigentliche Problem verschoben.
Wie Smartphones unser Gedächtnis beeinträchtigen
WELT: Sie sagen, dass das Gehirn ein gewisses Maß an Training braucht, um sein volles Potenzial zu behalten. Unterstützen wir dessen Rückgang dabei, indem wir unser Gedächtnis nahezu vollständig auf Smartphones auslagern?
Tadié: Man könnte sagen, ein unbewegter Muskel wird mit der Zeit schwach, und das gilt auch für bestimmte Hirnregionen. Je mehr wir kognitive Arbeiten an unsere Handys abgeben (wie das Merken von Wegen, Zahlen oder anderen Informationen), desto weniger beanspruchen wir den Hippocampus, der für unser episodisches und räumliches Gedächtnis entscheidend ist. Die Londoner Taxifahrer, die früher bis zu 25.000 Straßen auswendig wissen mussten, hatten einen überdurchschnittlich großen Hippocampus. Doch dieser Bereich hat geschrumpft, seit der Einsatz von GPS-Diensten zunahm.
Platon meinte schon damals: Wenn wir unsere Erinnerungen extern speichern, riskieren wir, unser internes Gedächtnis zu verlieren. Smartphones stellen den maximalen Punkt dieser Auslagerung dar. Die neuronalen Schaltkreise für Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Gedächtnisbildung werden immer weniger genutzt. Langfristig führt das zu einem Absterben dieser Schaltkreise, wie bei einem stillgelegten Eisenbahngleis, das von Unkraut überwuchert wird. Solche zerebralen Bahnen wiederherzustellen, ist dann sehr schwierig.
Kann ein geschädigtes Gedächtnis je wiederhergestellt werden?
WELT: Wenn das Gedächtnis durch den übermäßigen Gebrauch von Smartphones schon beeinträchtigt ist, kann man es dann tatsächlich reaktivieren?
Tadié: Nur teilweise. Es gibt aktuelle elektromagnetische Stimulationstechniken, die gewisse neuronale Verbindungen reaktivieren können. Elon Musk sieht darin sogar eine Wundermittel. Jedoch kann dies weder die umfassenden Lebenserfahrungen noch die dadurch geprägte Persönlichkeit wiederherstellen. Dein Gedächtnis ist keine einfache Festplatte: Es definiert, wer wir sind, zu Menschen macht und ist urheber des geistigen Wohlbefindens. Übermäßige Smartphonenutzung kann Stress, Angstzustände und Depressionen verstärten, auch bei Erwachsenen zwischen 40 und 50 Jahren, die sich wie „Gefangene in einer virtuellen Zelle“ fühlen.
Interessanterweise zeigt sich das Smartphone in Bezug auf ältere Menschen jedoch von einer positiven Seite. Es verringert die Einsamkeit, regt ihr prozedurales Gedächtnis an und bietet ihnen Lebensfreude zurück. Diese Geräte sind nicht per se schlecht, der Schlüssel liegt im richtigen Alter und dem passenden Maß.
Ein Führerschein für den Smartphone-Gebrauch?
Wie beim Autofahren, was einen bedeutenden Fortschritt darstellt, jedoch Führerschein, Regeln und Grenzen benötigt, fordere ich einen „Smartphone-Führerschein“. Die Nutzer sollten bezüglich ihrer Nutzung schrittweise an eine umfassende Sensibilisierung herangeführt werden. Ich wäre sogar dafür, dass auf Smartphone-Werbung und deren Verträge stehen sollte: „Trainieren Sie Ihr Gedächtnis mit fünf verschiedenen Übungen, um sich Ihrer Gesundheit willen“, ähnlich wie es bei Autos sinnvolle Tipps gibt wie ‚Täglich spazieren gehen oder Rad fahren‘.
Smartphones können für Menschen mit Behinderungen therapeutisch wertvoll sein und sind für Senioren oft lebensrettend. Doch für Kinder und Jugendliche sollten sie ein Hilfsmittel bleiben und dürfen keineswegs die Kontrolle über ihre Konzentration oder Menschlichkeit übernehmen.
Sind wir tatsächlich süchtig nach Smartphones?
WELT: Lässt sich tatsächlich sagen, dass Smartphones süchtig machen?
Tadié: Absolut. Die neurobiologischen Prozesse sind mit denen bei Drogen vergleichbar. Mit jedem kleinen Interaktionsschritt stoßen wir das Glücks- und Belohnungshormon Dopamin frei. Die Algorithmen sind so aufgebaut, dass sie nichts Endliches besitzen: Die Künstliche Intelligenz bietet ständig noch etwas mehr an, was zur Einsicht führt Belohnung danach ab zu verlangen. Die Sucht entwickelt sich schleichend und unbemerkt, und das ohne hohe Kosten, was die Gefährlichkeit noch verstärkt. Verantwortlich sind hier Entzugskliniken in China, die ihre hilfsbedürftigen Patienten MONATE isolieren.
Marc Tadié ist Ko-Autor des Buches „Le Cerveau sans mémoire“ (Das Gehirn ohne Gedächtnis).
Dieses Interview wurde zuerst im Paris veröffentlicht auf Le Figaro, das, wie WELT, Teil der Leading European Newspaper Alliance (LENA) ist.
